Sehr geehrter Herr Staatsminister Sibler,
Sehr geehrter Herr MR Dr. Schmitt-Glaeser,
bezugnehmend auf Ihr Schreiben R.1‑H1112/0/10/ vom 18.05.2021 erhalten Sie untenstehend die Stellungnahme der Landes-ASten-Konferenz (LAK) Bayern zum Entwurf des Bayerischen
Hochschulinnovationsgesetzes (BayHIG).
Wir möchten uns für die Beteiligung an der Verbändeanhörung bedanken und hoffen, dass mit unserer Einsendung die Belange der Studierenden in diesem äußerst wichtigen und richtungsweisenden Gesetzesvorhaben ausführlich gehört und in den weiteren Bearbeitungsprozess einfließen werden. Erlauben Sie uns, bevor wir auf die Artikel einzeln eingehen, eine übergreifende Einschätzung zu dem Gesetzgebungsprozess abzugeben und Ihnen unsere wichtigsten Forderungen und Änderungsvorschläge vorab mitzuteilen.
Bereits Ende 2018 hat sich das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst mit der Bitte um die Anzeige von Änderungsbedarf für eine in der 18. Legislaturperiode geplanten Novellierung des bayerischen Hochschulrechts an die Landesverbände der jeweiligen Interessengruppen gewandt (Schreiben R.1‑H1112.0/4/4). Die LAK Bayern hat sich daraufhin intensiv mit dem Hochschulgesetz befasst, bestehenden Änderungsbedarf identifiziert, die Änderungsvorschläge der bayerischen Studierendenvertretungen in einem demokratischen Verfahren konsolidiert und im Februar 2019 an Ihr Haus übersendet. Einige unserer Vorschläge finden sich auch im vorliegenden Entwurf des BayHIG wieder, wie z.B. die Einführung des Antidiskriminierungsauftrags, die Erhöhung der Anzahl der studentischen Vertreter*innen in der Vertreterversammlung der Studierendenwerke oder die Festschreibung einer Landesvertretung der Studierenden. Wir sind froh, dass einige Passagen unserer frühen Gedanken zu einer Novellierung im weiteren Gesetzgebungsprozess des BayHIG aufgegriffen wurden.
Der Wechsel von einer langfristig geplanten Novellierung eines bestehendes Gesetzes zu einer vollständigen Neufassung wurde durch die Veröffentlichung des Eckpunktepapiers des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst im Oktober 2020 offensichtlich. Bereits zuvor hatte sich durch die Bekanntgabe der Hightech Agenda Bayern in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Dr. Söder am 10.10.2019 sowie in vielen von uns geführten Gesprächen dieser Kurswechsel abgezeichnet: Statt der gezielten Verbesserung bestehender Strukturen wurde das Ziel der maximalen Verschlankung und Deregulierung ausgesprochen. Das hat zu einem Beben in der bayerischen Hochschullandschaft geführt.
Um der Tragweite des Neuentwurfs des bayerischen Hochschulrechts gerecht zu werden, hat die LAK Bayern zusammen mit dem Landesverband wissenschaftliches Personal in Bayern (LWB) in ihrer “Vision einer bayerischen Hochschullandschaft 4.0” das Bild einer transparenten, glaubwürdigen und zukunftsgerichteten Hochschule gezeichnet und konkrete Vorschläge sowie Forderungen in den Diskurs eingebracht.
Nicht nur innerhalb der Studierendenvertretungen, sondern auch in den Leitungsebenen und bei weiteren Stakeholdern der Hochschulen hat die Eile, mit dem der Gesetzgebungsprozess vorangetrieben wurde, zu spürbarer Irritation geführt. Durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie standen die Hochschulen in Bayern vor der größten Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Für Dozierende sowie Studierende stellte die von heute auf morgen notwendige Verlagerung der Lehre sowie des gesamten Hochschulalltags in den digitalen Raum eine große Belastung dar. Diese konnte zwar aufgrund des großen Engagements der Hochschulfamilie in den meisten Fällen gut bewältigt werden, sie blieb aber natürlich nicht ohne Folge für die zeitlichen Kapazitäten aller Beteiligten. In dieser bereits von sich aus angespannten Lage den tiefgehensten hochschulpolitischen Reformprozess der letzten zwei Jahrzehnte voranzutreiben, sorgte nicht nur unter Studierenden vielerorts für Zweifel und Unverständnis.
Die Diskussionsrunden auf YouTube und die vielen virtuellen Besuche von Herrn Staatsminister Sibler in den Hochschulen und bei weiteren Veranstaltungen zeigen, dass sich das StMWK um Diskussion und Austausch bemühte. Allerdings wäre eine Diskussion vor Ort und in Persona, mit allen Beteiligten und Betroffenen, ein erheblicher Zugewinn an Vertrauen und Perspektive für den Gesetzgebungsprozess gewesen. Wie unterschiedlich dabei die Meinungen und Perspektiven der Mitgliedergruppen auf das BayHIG sind, wurde zuletzt in der zweiten Sachverständigenanhörung des Landtagsausschusses für Wissenschaft und Kunst am 11. und 12.06.2021 deutlich.
Anknüpfend an diese Erfahrungen möchten wir daher die folgende explizite Bitte an Ihr Haus richten: Nehmen Sie sich, aber auch Ihre Abteilungen die notwendige Zeit für die Analyse der Stellungnahmen und die Einarbeitung von Neuerungen in das BayHIG, um die divergierenden Positionen und berechtigten Forderungen in Einklang zu bringen.
Eine Einbringung des Gesetzentwurfs noch vor der Sommerpause in den Landtag stünde diesem Ziel entgegen. Für eine durchdachte, faire und wertschätzende Verbändeanhörung, an der erstmals über 30 Institutionen, Verbände und Zusammenschlüsse beteiligt sind, sind die bisher angesetzten zwei Wochen aus unserer Sicht vollkommen unrealistisch und konträr zu einer tatsächlich ausgewogenen, sachlichen Bewertung der Stellungnahmen und der Zusammenführung gegensätzlicher Standpunkte.
Im Folgenden möchten wir Ihnen die wichtigsten Anliegen der Studierenden – interne Governance und Gremiendemokratie sowie Nachhaltigkeit und Klimaschutz – an den Gesetzesentwurf vorstellen, bevor eine detaillierte chronologische Darstellung und Begründung aller Änderungsforderungen gegeben wird.
Interne Governance und Gremiendemokratie
Das BayHIG soll den Hochschulen neue Freiräume eröffnen, um in Freiheit und Eigenverantwortung die Bildungs- und Forschungsexzellenz in Bayern auszubauen. Dabei überträgt der Freistaat im Sinne des Subsidiaritätsprinzips einige Entscheidungskompetenzen an die Hochschulen. Die neuen Spielräume, die sich dadurch ergeben, werden von der LAK Bayern grundsätzlich begrüßt, da wir glauben, dass jede Hochschule so ihr individuelles Profil besser entfalten kann. Als Teil des Subsidiaritätsprinzips und in Anbetracht der Fürsorgepflicht des Staates für seine Hochschulen sind jedoch grundlegende Rahmenbedingungen zu formulieren, deren Festlegung in die ausschließliche Zuständigkeit des Staates fallen. Vor diesem Hintergrund sehen wir Ihr Haus in der Verantwortung, die Hochschulen in ihrer Struktur stabil und partizipativ zu erhalten und geeignete Rahmenbedingungen bzw. “Leitplanken” zu definieren, innerhalb derer eine individuelle Entfaltung stattfinden kann. Hierbei ist eminent wichtig, dass die demokratische Verfasstheit der Hochschulen erhalten bleibt und nicht durch ihre gestärkte Autonomie und individuellen Regelbefugnisse in den Grundordnungen ausgehebelt werden kann.
Zu diesen Leitplanken gehören konkret:
- die zentrale Gremienstruktur der Hochschule mit ihrer Gewaltenteilung,
- der maßgebende Einfluss der Träger*innen der Wissenschaftsfreiheit,
- der Minderheitenschutz zur Sicherstellung der demokratischen Teilhabe,
- das Vier-Schultern-Prinzip zur Sicherstellung der Personalkontinuität,
- die demokratische Legitimation exekutiver Funktionsträger*innen.
Während der erste Entwurf des BayHIG im Vergleich zum Eckpunktepapier des StMWK bereits erste Leitplanken wie die zentrale Gremienstruktur oder der maßgebende Einfluss der Hochschullehrenden als Träger*innen der Wissenschaftsfreiheit beinhaltet, so sind alle weiteren Leitplanken weiterhin nicht vorgesehen.
So ermöglicht das BayHIG konkret, den prozentualen Anteil der Vertreter*innen der Hochschullehrenden in Gremien, trotz des ohnehin schon garantierten maßgebenden Einflusses, unbegrenzt nach oben zu erhöhen, während die anderen Mitgliedergruppen – namentlich die Studierenden, das wissenschaftliche und das wissenschaftsstützende Personal – einen nach unten offenen Stimmenanteil erhalten. Die bisher im BayHSchG und in den Vorgängergesetzen der letzten fünfzig Jahre verankerte “50+1‑Regel”, welche eine gleichberechtigte Teilhabe der Hochschullehrenden (50%+1) und weiteren Mitgliedergruppen (50%-1) garantierte, ist der maximalen Verschlankung und Deregulierung des Gesetzes gewichen. Der Minderheitenschutz von Mittelbau und Studierenden wird damit faktisch aufgehoben. Eine Optionalisierung dieses demokratischen Grundprinzips der Teilhabe auf Augenhöhe kann zu gravierenden hochschulinternen Konflikten führen, welche die Handlungsfähigkeit der Hochschule nachhaltig gefährden.
Auch wird nur noch eine Stimme der Studierenden in den Gremien festgeschrieben. Da nur mit mindestens zwei gleichberechtigten Vertreter*innen ein angemessenes Meinungsspektrum der größten Mitgliedergruppe an Hochschulen abgedeckt, die Personalkontinuität der studentischen Vertreter*innen gesichert und der Wissens- und Kompetenztransfer zwischen den Vertreter*innen gewährleistet werden kann, ist dies für uns ein gravierender Rückschritt zur aktuellen Gesetzeslage und eine Schlechterstellung der studentischen Mitsprache an den Hochschulen. Die Ermöglichung von Stellvertreter*innen in Art. 28 BayHIG ist hierbei keine Kompensation für das tatsächliche Stimmrecht und somit der gleichberechtigten Teilhabe der zwei Vertreter*innen der Studierenden. Das “Vier-Schultern-Prinzip” wurde von den CSU- und FDP-Regierungsfraktionen des Landtags im Jahr 2012 als Reaktion auf die anhaltende Kritik der bayerischen Studierendenvertretungen über mangelnde Mitwirkungsrechte auch für den Senat und Hochschulrat festgeschrieben. Doch auch diese seitdem bewährte Struktur musste dem Ziel der maximalen Verschlankung und Deregulierung des BayHIG weichen.
Weiter kritisieren wir die mögliche Entkopplung der Personalunion von Senat und internen Hochschulrat und den damit einhergehenden gehemmten Informationsfluss zwischen beiden Gremien. Die Kontrollfunktion des Hochschulrats wird zusätzlich dadurch stark abgeschwächt, dass die oder der Präsident*in das alleinige Vorschlagsrecht für die Bestellung der externen Mitglieder besitzt. Auch hat nur die Hochschulleitung das explizite Vorschlagsrecht für Änderungen in der Grundordnung. Die neue Eigenverantwortung der Hochschulen kann jedoch nur dann angemessen wahrgenommen werden, wenn auch allen Mitgliedergruppen ein effektives Recht an der Beteiligung zugestanden wird.
Diese Auflistung ist nicht abschließend, zeigt aber anschaulich, dass die großen Leitplanken, die wir als LAK Bayern für das Gesetz gefordert haben, nicht vorhanden sind und wir so die demokratische Verfasstheit der Hochschulen durch den aktuellen Gesetzesentwurf massiv gefährdet sehen.
Nachhaltigkeit und Klimaschutz
Hochschulen sind Zukunftswerkstätten einer nachhaltigen Gesellschaft und können als Innovationsmotoren ihre Expertise und Potenziale wirksam nutzen, um dem Freistaat Bayern zum ersten klimaneutralen Bundesland zu verhelfen und sich so im internationalen Wettbewerb hervorzuheben. Allein auf die Freiwilligkeit und Eigenverantwortung der Hochschulen zu setzen, ist angesichts der unbestreitbaren Notwendigkeit der Klimaneutralität jedoch nicht tragbar. Auch ist die allgemeine Verpflichtung zum Klimaschutz in Art. 2 des Gesetzesentwurfs nicht greifbar genug, um daraus klare Ziele abzuleiten. Das BayKlimaG hat die Vorbildfunktion des Staates dahingehend geregelt, dass Einrichtungen der unmittelbaren Staatsverwaltung bis 2030 klimaneutral werden müssen. Da Hochschulen jedoch trotz ihres Status der “staatlichen Einrichtung” nicht der unmittelbaren Staatsverwaltung zugeordnet werden, ist eine explizite Zielvorgabe im BayHIG dringend erforderlich. Hochschulen sollten in ihrer staatlichen Vorbildfunktion ihrer Verantwortung durch das Anstreben der Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 nachkommen.
Weiterhin haben die Erfahrungen mit Internationalisierung, Gleichstellung und Inklusion gezeigt, dass Transformationsprozesse an Hochschulen mit klar definierten rechtlichen Rahmenbedingungen, eindeutigen politischen Bekundungen und Ressourcen unterlegt werden müssen, um in den jeweiligen Bereichen dauerhafte Erfolge zu erzielen. Nachhaltigkeit funktioniert nicht allein durch organische Fortentwicklungen, sondern benötigt zur verantwortungsbewussten Implementation klare Strukturvorgaben. Wir fordern daher, Nachhaltigkeit nicht nur als allgemeine Aufgabe zu definieren, sondern in einem eigenen, wirksamen Nachhaltigkeitsauftrag festzuschreiben. Zur Umsetzung dieses Auftrags schlagen wir in Anlehnung an den in Art. 22 BayHIG definierten Gleichstellungsauftrag die Etablierung von Nachhaltigkeitsbeauftragten vor. Aus unserer Sicht ist es zudem notwendig, Nachhaltigkeit als Leitprinzip zu verstehen und die Hochschulleitungen mit einem verbindlichen Geschäftsbereich zu betrauen, um so den Transformationsprozess mit einem effektiven Führungsmanagement auszustatten.
Es ist uns bewusst, dass der Entwurf des BayHIG von den verschiedenen Interessenvertretungen und Landesverbänden sehr unterschiedlich aufgenommen wurde. Auch innerhalb der LAK Bayern haben die bayerischen Studierendenvertretungen den Gesetzesentwurf aufgrund der zuvor ausgeführten Thematiken kontrovers diskutiert. Wir setzen großes Vertrauen in die Fähigkeit Ihres Hauses, aus den Rückmeldungen der Verbändeanhörung die notwendigen Änderungsbedarfe am vorliegenden Entwurf zu identifizieren und die berechtigten Interessen in einen ausgewogenen Einklang zu bringen. In diesem Sinne bedanken wir uns für die Berücksichtigung der studentischen Meinung in diesem Gesetzgebungsprozess.
Mit freundlichen Grüßen,
Anna-Maria Trinkgeld
Johanna Weidlich
Paul Thieme
Sprecher*innen
Stellungnahme
Landes-ASten-Konferenz Bayern
c/o Studierendenvertretung der LMU
Leopoldstraße 15
80802 München